Giovannis room ist ein bewegender Roman des US-amerikanischen Autors James Baldwin aus dem Jahr 1956. Er handelt von einem jungen Mann namens David, der nach Paris gezogen ist, um zu sich selbst zu finden, aber auch um dem Land (den USA) zu entfliehen, in dem er aufgewachsen ist.
Davids Verlobte Hella verbringt ihrerseits eine Zeit der Selbstfindung in Spanien, und so findet sich David allein in Paris wieder. Schon bald zieht er mit dem jungen, gutaussehenden italienischen Bartender Giovanni gemeinsam in dessen Zimmer.
David beschreibt das Leben in Giovannis Zimmer als ein Leben wie unter Wasser. Ein Leben, wo Zärtlichkeit und Liebe zu einem gleichgeschlechtlichen Freund in all ihren Facetten möglich ist, ein geschützter Raum unter der Wasseroberfläche. Oberhalb dieser Wasseroberfläche lauert die reale Welt. Der gesamte Roman scheint jedoch zu suggerieren, dass es unmöglich ist, ewig abzutauchen, unter Wasser zu bleiben.
Doch die Welt da draußen ist noch nicht bereit für eine Offenheit, wie David sie sich wünschen würde. Und auch er selbst hat noch keinen Frieden mit sich und seinen Gefühlen geschlossen. Er charakterisiert Homosexualität als etwas Animalisches, eine Bestie, die von ihm Besitz ergriffen hat:
“the beast, that Giovanni had awakened in me, would never go to sleep again.”
Die Liebe zu Giovanni beschreibt David wie das Rauschen eines Flusses, wenn das Eis aufbricht. Auch hier wird das Wasser wieder als Sinnbild für etwas Betörendes und zugleich Lebendiges verwendet. Das aufbrechende Eis ist an dieser Stelle bildhaft zu verstehen: Die Eisschicht der kalten und diskriminierenden Gesellschaft, die Homosexualität nicht toleriert, gilt es aufzubrechen, um in den Fluten der Leidenschaft aufzugehen.
Doch schwankt der Protagonist eigentlich nicht zwischen Homosexualität und Heteronormativität, sondern scheint sich vielmehr zwischen Homosexualität und Bisexualität wiederzufinden. Davids Unschlüssigkeit, seine Ungewissheit über die eigene sexuelle Orientierung, prägen den Roman.
Giovannis room thematisiert, zum Teil subversiv, an anderen Stellen jedoch auch sehr explizit, das in den 1950er Jahren stark ausgeprägte, aber auch heute noch brandaktuelle Problem eines Männlichkeitsideals in der amerikanischen Gesellschaft, das viele Männer glaub(t)en erfüllen zu müssen. Ein kurzes Zitat:
„,And listen‘, said my father suddenly, from the middle of the staircase, in a voice, which frightened me, ,all I want for David is that he grows up to be a man. And when I say a man, Ellen, I don’t mean a Sunday school teacher‘”
Obgleich dieser “Sunday school teacher” hier nicht näher charakterisiert wird, ist die Aussage des Vaters von David doch eindeutig: Mein Sohn soll zu einem starken, unerschrockenen Mann heranwachsen, und kein Weichei werden.
Zwischen Giovannis room und James Baldwins Person lassen sich interessante Parallelen ziehen. Solche sind beispielsweise das bekanntlich schwer gestörte Verhältnis Baldwins zu seinem Stiefvater in seiner Jugend, seine Flucht aus den USA nach Frankreich und seine eigene potentielle Homosexualität – Parallelen, die Baldwins Verleger als so verheerend ansah, dass er der Meinung war, Baldwin würde mit dieser Veröffentlichung seine Karriere aufs Spiel setzen.
James Baldwin galt für viele US-amerikanische ‚people of colour‘ der Zeit als Vorbild. Jedoch war auch bekannt, dass er aufgrund von rassistischen Anfeindungen und der allgemeinen politischen Situation in den USA nach Frankreich geflohen war.Wie er selbst oft betonte, ertrug er den Rassismus in New York nicht mehr. Somit schien es naheliegend, dass Giovannis room zumindest teilweise autobiografisch zu lesen sei. James Baldwin selbst verneinte in mehreren Interviews nach dem Erscheinen des Romans jedoch den autobiografischen Zusammenhang:
“No, it is more of a study of how it might have been or how I feel it might have been.”
In jedem Falle thematisiert Giovannis room, anders als Baldwins bis zu diesem Zeitpunkt erschienene Schriften, die Thematik der Diskriminierung von ‚people of colour‘ in den USA nicht im Geringsten. Die Protagonisten des Romans sind allesamt weiß. Baldwin würde, so sein damaliger Verleger Knopf, durch die zentrale Thematik der Homosexualität in Giovannis room seiner Leserschaft nicht das anbieten, was sie erwarte.
Heute gilt Giovannis room als einer der bedeutendsten Romane, in dem Homosexualität thematisiert wird,und wurde von der BBC sogar in die Liste der 100 einflussreichsten Romane überhaupt aufgenommen.
Darüber hinaus kann der Roman aber auch zu einer Beschäftigung mit der Person James Baldwin anregen. Für Filmliebhaber*innen ist der Dokumentarfilm I Am Not Your Negro von Raoul Peck aus dem Jahre 2017 zu empfehlen. Grundlage dieses Films ist das unvollendete Manuskript Remember This House von Baldwin – ein Text über die drei ermordeten Freunde Baldwins Medgar Evers, Malcolm X und Martin Luther King. I Am Not Your Negro erzählt allerdings auch die Biografie von James Baldwin selbst, und ist als eine Geschichte der Rassendiskriminierung in den USA zu begreifen.
Schaut man sich die Situation in den USA der vergangenen paar Jahre an, Fälle wie die die Tötung George Floyds, so sind diese Themen leider noch heute brandaktuell.
“Not everything that is faced can be changed, but nothing can be changed until it is faced.”
― James Baldwin
Autorin: Maya Oppitz