Die betroffenen Frauen werden natürlich nicht befragt, denn sie stehen laut Egerkinger Komitee für ein anti-westliches Wertesystem. Worin sich dieses konstituiert, wird nicht beschrieben, es wird sich nur von dem Außen abgegrenzt. In der Schweiz ist die Individualität der Frau schließlich das wichtigste demokratische Gut und es muss beschützt werden. In der Schweiz dürfen Frauen übrigens erst seit 1971 wählen. Das war später, als in Tunesien, Syrien, der Türkei, Mauretanien, Libyen, dem Libanon, dem Jemen, dem Iran, Ägypten, dem Sudan, Somalia, Afghanistan, Gambia, Marokko, dem Irak, Pakistan, Algerien, Mali, Malaysia, Mauritius, dem Tschad, Niger, den Komoren, Burkina Faso, Dschibuti, Bosnien und Herzegowina, Senegal, Indonesien, dem Kosovo, Usbekistan, den Malediven, Turkmenistan, Tadschikistan und Aserbaidschan. Allesamt mehrheitlich muslimische Nationalstaaten. Und ja, diese Aufzählung war nötig.
Das zu beschützende „westliche Wertesystem“ wird weder konkretisiert, noch in Frage gestellt. Aber das muss es auch nicht, denn es steht in krasser Abgrenzung zu dem Bild eines frauenfeindlichen, extremistischen, gefährlichen, anderen Islam, der nicht zur Willensnation Schweiz gehört. Dieserer Artikel hat übrigens kein Schweizbashing im Sinn, dasselbe gilt für Deutschland und Kopftuchverbote, Diskurse über „Clan-Kriminalität“ und Hanau.
Menschen, die Teil einer Nation sind, werden durch ein orientalistisches Fremdkonzept entfremdet und entmenschlicht. Übrigens waren bereits 2007 80% der Nachrichten in der Berichterstattung über den Islam des deutschen öffentlich-rechten Rundfunks negativ konnotiert (Daniel 2012: 153).
Leidtragende sind muslimisch gelesene Menschen auf der ganzen Welt. Sie leben mit uns und irgendwie doch nicht. Der Volksentscheid mag lächerlich wirken, ein ganzes Land gegen dreißig Frauen, mag nach Symbolpolitik, einemn Angriff auf Religionsfreiheit oder institutionellemn Rassismus aussehen, doch viel dramatischer sind die Auswirkungen auf den einzelnen Menschen, der entfremdet wird, dem das Zugehörigsein abgesprochen wird.
Und all das in Zeiten von body positivity und intersektionalem Feminismus. Ein Zitat ging in den letzten Wochen um die Welt, für dasie dessen Urheberin global Zuspruch und Unterstützung erhielt und quasi zur Galionsfigur der selbstbestimmten Frauen erkoren wurde. Das Zitat „Nobody can have an opinion because they haven’t seen what’s underneath“, stammt von Billie Eilish. Eben nicht von einer muslimischen Frau. Denn dann müsste erstmal darüber abgestimmt werden, ob ihre baggy Hoodies überhaupt zu unseren „westlichen Werten“ passen.
Weiterführende Literatur:
Daniel, A. 2012. Der Islam als das Andere–Postkoloniale Perspektiven. In: Doing Modernity-Doing Religion. Springer VS, Wiesbaden: 143-167.
Kilomba, G. 2008. „Speaking the Unspeakable. Defining Racism“. In: Plantation memories. Episodes of everyday racism, 2: 54-55.
Weiterlesen?
Hier geht’s zu den beiden thematisch ähnlichen Artikeln “You know what I want to hear – Orientalismus in der Filmmusik“ und „Alle Sprachen sprechen wir – Wie Mock language fremde Spachen auf Klischees reduziert“
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