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Siamo tutti antirazzisti?

Bereits seit der sogenannten Flüchtlingskrise im Jahr 2015 steht die linke Szene in Deutschland vor der Schwierigkeit mit dieser schizophrenen Situation umzugehen. Die zivilen Seenotrettungsmissionen und das sie unterstützende NGO-Bündnis Seebrücke sind eine praktische Antwort darauf. In verschiedenen medialen Formaten wurde in den letzten Jahren für die Unterstützung dieser Missionen geworben. Ziel war es, eine breite zivilgesellschaftliche Front gegen die unmenschliche Situation an den Außengrenzen Europas aufzubauen. Die in dieser politischen Kommunikation erzeugten Filme und Bilder sind ein interessantes Zeugnis des Versuchs, in einer strukturell rassistischen Gesellschaft, radikale Solidarität zu generieren. Das bedeutet Spenden und politische Unterstützung, für antirassistische Aktionen herzustellen und ist absolut notwendig, um die solidarische Praxis der Seenotrettung weiterhin zu ermöglichen.

Extreme Bedingungen. Der Dokumentarfilm Iuventa wurde größten Teils während einer Seenotrettungsmission der NGO Jugend rettet aufgenommen. Bild: Jugend rettet

Ein Film, der eine solche politische Kommunikation zu leisten versucht, ist der Film Iuventa. Seenotrettung – Ein Akt der Menschlichkeit von Michelle Cinque. Dieser dokumentiert die Arbeit der Nichtregierungsorganisation Jugend rettet. Die Kamera begleitet hier die Seenotretter*innen bei der Vorbereitung ihres Einsatzes. Der Film lässt uns an ihren Gesprächen und politischen Überlegungen teilhaben. Cinque filmt die Vorbesprechungen an Bord, begleitet die weiße Crew, wenn sie später durch Berlin läuft und nimmt Gespräche darüber auf, was ihr Einsatz als Seenotretter*innen für ihre Lebenspläne weiter bedeuten wird. Die Crewmitglieder sind die Protagonist*innen dieser Erzählung. Inwiefern diese Erzählstrategie problematisch ist, wird an der Repräsentation der Geflüchteten ersichtlich. Der Film zeigt den Verlauf einer Rettungsaktion. In der Szene stürzt eine ganze Reihe Geretteter nacheinander auf die Kamera ein, die sich am Boden des Rib-Bootes befindet, auf das die Personen von zwei Rettern gezogen werden. Ob überfüllte Schlauchboote, teilweise durch die Schwimmwesten orange eingefärbt, teilweise überragt von zahlreichen Armen, die sich nach diesen ausstrecken oder eine große Anzahl geretteter Menschen im Stehen am Bug der Iuventa zusammengedrängt – immer wieder verschwimmen die Geretteten oder noch zu rettenden Menschen zu einer schemenhaften Menge. Natürlich sind die Schlauchboote auch tatsächlich heillos überfüllt. Es wäre ein Fehler, dies im Film nicht zu zeigen. Doch der Film zeigt die Geretteten vor allem als auf die Retter*innen und Zuschauer*innen einstürzende Masse und macht sie dadurch zu etwas Bedrohlichem und radikal Fremdem. Die Individuen verlieren ihre Gesichter und Geschichten, sie sind nur noch Teil dieser schemen- und zugleich symbolhaften Menge, die die Retter*innen konfrontiert.

Während der Film die Seenotretter*innen als Held*innen erzählt, die über sich hinauswachsen, werden die Geflüchteten in dieser Erzählung kaum als Individuen erkennbar, sondern bleiben das verdinglichte Gegenüber, durch das die Retter*innen erst zu Held*innen werden.3 Das ist natürlich nicht die ‚Schuld‘ der Seenotretter*innen oder gar ein Vorwurf an sie. Sie sind es ja, die die Normalisierung des Sterbens im Mittelmeer irritieren. Das Problem ist, dass die Erzählung des Films diese Irritation nicht in radikale antirassistische Solidarität übersetzen kann, da die Geflüchteten hier kaum als Subjekte einer potentiellen Beziehung der Solidarität auftreten. Es ist allerdings auch Cinques erklärtes Ziel, die Geschichte der Retter*innen zu erzählen. „Zuerst stellte ich mir vor“, sagt er, „einfach nur die Emotionen und Eindrücke der Jugendlichen einzusammeln auf ihrer so ersehnten und lang vorbereiteten ersten Fahrt.”4


3 Es gibt einzelne Szenen in denen Interviews mit Passagier*innen des Boots geführt werden oder persönliche Gespräche zwischen Crew und Passagier*innen aufgezeichnet werden. In diesen wenigen Szenen begegnen die Zuschauer*innen den Geretteten als Individuen mit eigener Geschichte und Wünschen. Doch in der Gesamterzählung des Films bleibt dies eine vereinzelte Sequenz.

4 https://www.iuventa-film.de/#statements

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