Zum Inhalt springen

Mehr Wertschätzung für Pflegende – Ein Plädoyer

Autor: Jonas Mileta

Wenn ich über die Pflege schreibe, so kann das nur autoethnografisch geschehen. Ich würde mir nicht anmaßen wollen, für die Pflege zu schreiben, am ehesten noch: anstelle von anderen Pflegenden. Denn natürlich sind die Geschichten und Biografien von Pflegenden heterogen, meine Erfahrungen nicht repräsentativ. Trotzdem decken sich viele meiner Erfahrungen in der Krankenpflege mit den Debatten, die in Deutschland um die Pflege geführt werden. Also: Autoethnografie und Diskursanalyse.

Mich interessiert vor allem die Frage nach Wertschätzung von Pflegeberufen: Warum fühlen sich Pflegende oft nicht wertgeschätzt? Welche Konsequenzen hat das für die pflegerische Arbeit?  Und was können Gesellschaft und Politik tun, um pflegerischer Arbeit den Wert einzuräumen, den sie verdient und den es braucht, um den Pflegeberuf attraktiver zu machen?

In seinem Buch „Rückkehr nach Reims“ stellt der französische Soziologe Didier Eribon fest: „Von Geburt an tragen wir die Geschichte unserer Familie und unseres Milieus in uns, sind festgelegt durch den Platz, den sie uns zuweisen.“ Als ich mein Abitur abschloss, entschied ich mich, eine Krankenpflegeausbildung anzufangen. Eine Mitabiturientin sagte mir damals, das sei ja mutig von mir. Der Ton ihrer Aussage war aber weder bewundernd noch ermunternd. „Mutig“ hieß: abweichend von der Vorstellung des Milieus derer, mit denen ich acht Jahre die Schulbank geteilt hatte, des Milieus, zu dem ich mich zugehörig fühlte. „Mutig“ hieß, etwas zu lernen, was als weniger wert erachtet wurde als das, was man in einem Studium lernen könnte.

Während meiner Ausbildung besuchte ich Vorlesungen an der Universität: Ich bekam selbst manchmal das Gefühl, dass das, was ich da lernte, im Gegensatz zu den anspruchsvollen Universitätsvorlesungen wertlos sei. Dieser Eindruck wurde durch Gespräche in meinem Freundeskreis oder mit Zufallsbegegnungen auf Partys verfestigt: Während mit Leidenschaft über Philosophie, Politik und Studieninhalte diskutiert wurde, fragte selten jemand, was ich in der Krankenpflegeausbildung lernen würde. Oft hörte ich hingegen den Standardsatz, den vermutlich viele Pflegende kennen: „Krankenpflege? Toll, dass du das machst! Ich könnte das ja nicht, weil…“ Damit war das Thema dann meistens beendet. Viele hatten sich bereits ihr Bild von der Pflege gemacht: Was ich da genau machte, oder wie ich die Ausbildung empfand, interessierte sie dann meist nicht mehr. Diese Erfahrungen erzeugten bei mir den Eindruck, dass die Pflege bei angehenden Bildungsbürger*innen, die mich umgaben, kein Thema war, das sie interessierte.
Bestimmt tat ich meinen Beitrag dazu: Auch ich trug, mit Eribon gesprochen, die Geschichte meines Milieus in mir und konnte meine Erzählungen nicht mit wertvollen Bildern und Momenten füllen, die ich in meinem Pflegealltag erlebte.

In meiner Pflegeklasse schlossen um die 20 Krankenpflegeschüler*innen erfolgreich das Pflegeexamen ab. Ich wusste von ungefähr einem Drittel der Teilnehmenden, dass sie nach der Ausbildung noch studieren wollten. Für viele ist die Ausbildung eine Möglichkeit, Zeit bis zum Medizinstudium zu überbrücken. Es blieben wenige, die sich aktiv für die Pflege entschieden, und damit für einen Beruf, der so oder so schon unter einem akuten Personalmangel leidet.

Auch ich studiere seit zwei Jahren an der Humboldt Universität zu Berlin. Ich überlege häufig, wie ich nach dem Studium hauptberuflich oder als Nebenjob weiter in der Pflege arbeiten kann. Auch während des Studiums jobbe ich im Krankenhaus.
Die Pflege ist mir ans Herz gewachsen; das Gefühl, etwas Sinnstiftendes zu tun, stellt sich bei jedem Dienst ein. Die Wertschätzung der Patient*innen und das Gefühl, helfen zu können, bedeuten mir viel. Meiner Ansicht nach müsste sich aber die gesellschaftliche Wahrnehmung auf die Pflege systematisch wandeln, um dem Beruf den Wert zu geben, den er verdient.

Der Krankenpfleger Alexander Jorde im Gespräch mit Angela Merkel in der ARD- Wahlarena 2017

Zufrieden nach Hause gehen können

Schon vor der Corona-Pandemie hatten Pflegende in den letzten Jahren eine zunehmende Medienpräsenz. Prominent wurde 2017 der Krankenpflegeschüler Alexander Jorde, der die Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisierte, in zwölf Jahren Regierungszeit zu wenig für die Pflege getan zu haben. Pflegende organisierten Demonstrationen, um auf die schlechten Arbeitsbedingungen in der Pflege aufmerksam zu machen, wie den „Walk of care“, der 2018 in Berlin stattfand.

Dann kam die Corona-Pandemie und für Pflegende änderte sich die Situation schlagartig: Für viele Pflegende, die schon vor der Pandemie am Limit arbeiteten, verschärfte sich die Situation zusätzlich. Viele Kolleg*innen, denen ich in der Corona-Pandemie begegnete, wirkten überlastet, resigniert, fühlten sich alleine gelassen. Ich arbeitete auf Stationen, auf denen sich das halbe Team mit Corona infiziert hatte. Diejenigen, die zurückblieben, mussten noch mehr leisten, als sie es teilweise eh schon mussten.  

Dabei birgt diese Krise eine ungemeine Chance: dass Pflegende gesehen werden, ihre Stimmen in den Diskursen gehört werden, die Bedeutung und der Wert ihrer Arbeit offensichtlich wird. Es gibt erste Anzeichen für ein wachsendes Bewusstsein, wie zum Beispiel das symbolische Balkonklatschen gezeigt hat. Bemerkenswert ist auch das Fernsehformat von „Joko und Klaas gegen Prosieben“ vom 01. April 2021. In diesem hing sich Pflegekraft Meike Ista eine Kamera um und filmte sieben Stunden lang ihre Frühschicht im Uniklinikum Münster. Während man Meike Ista als Zuschauer*in durch ihren Dienst begleitet, werden verschiedene Pfleger*innen aus unterschiedlichen Krankenhäusern und Heimen eingeblendet, die aus ihrem Alltag, von ihren Wünschen und ihren Problemen in der Pflege erzählen. Die Süddeutsche Zeitung schreibt dazu: „Sie alle wollen ja gar nichts Besonderes. Sie wollen vor allem Anerkennung, und zufrieden nach Hause gehen können.“

Pflegende rücken zunehmend in das Sichtfeld von Politik und Gesellschaft. Die Corona-Krise erscheint für die Pflege als ein Brennglas, das lang ignorierte Probleme der Pflege unübersehbar macht. Läge es dieser Gesellschaft daran, diese Fragen nachhaltig zu diskutieren und nach der Krise nicht wieder unter den Teppich zu kehren, so sollte zugehört werden, wo und woran es mangelt.

Natürlich sind hier die Dinge zu nennen, die von Pflegenden schon lange gefordert werden und jetzt auch gesamtgesellschaftlich aufgegriffen werden: bessere Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung. Was diesen Forderungen aber zugrunde liegt und selten genannt wird, ist die Anerkennung pflegender Berufe. Meiner Ansicht nach besteht die Gefahr, dass die Leistung von Pflegenden wieder vergessen wird, sobald die Corona-Pandemie vorüber ist. Dieses Problem lässt sich mit besseren Arbeitsbedingungen oder besserer Bezahlung nicht allein lösen. Der Pflege sollte der Wert beigemessen werden, den sie in einer alternden Gesellschaft innehat und Pflegenden gespiegelt werden. Anstelle von: „Toll, ich könnte das aber nicht!“, könnte man offen fragen, wie es Pflegenden geht, was sie brauchen, gerade wenn die Situation für viele gerade nicht gut ist. Oder: „Das ist toll, was du machst!“, ohne etwas nachzuschieben, wie: „Ich könnte das aber nicht“. Oder auch mal über die Pflege zu sprechen und ihr denselben Wert zugestehen, wie anderen Berufen und nicht erst dann über die Pflege zu sprechen, wenn man sie braucht. Hilfreich wäre es auch, sich ehrlich zu hinterfragen, woher die Vorurteile oder das fehlende Interesse für die Pflege kommen. Eine angemessene Bezahlung für den Pflegeberuf ist ein wichtiger, erster, umsetzbarer Schritt. Fehlt aber die Wertschätzung, so löst das meiner Ansicht nach nicht den Pflegemangel und die Arbeitsbedingungen bleiben schlecht: Weiterhin wird ein*e Altenpflegende*r für zwanzig Menschen in einer Frühschicht zuständig sein. Nur die Kombination von Bezahlung und Prestige wird dort gute Arbeitsbedingungen schaffen, wo akuter Pflegemangel herrscht.

„Joko und Klaas gegen Prosieben“ – Ausschnitt aus der Sendung vom 01. April 2021

weiterlesen

Seiten 1 2

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert