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Der letzte Blick – Verabschiedung via Zoom

Autor: Eduard von Borries

Bild: Tara Grubišić

Für mich ist die Verabschiedung einer der interessantesten Momente eines Zoom-Meetings. Lächelnd winken die Teilnehmenden in die Kamera. Die Abschiedsformeln wabern durcheinander, ich höre nur einzelne Fragmente. Schnell unmute ich mich, spreche meine Verabschiedung in das Mikrofon und mute mich wieder. Ob ich gehört werde, weiß ich nicht. Nach und nach sinken die winkenden Hände. Die Gesichter wechseln von einem freundlichen zu einem neutralen Ausdruck. Die Blicke werden konzentrierter, die Körper lehnen sich nach vorne. Wir suchen jeweils unser „Meeting-verlassen“-Feld und bestätigen auf dem daraufhin erscheinenden Feld, dass wir das Meeting wirklich verlassen möchten. Erst dann verschwinden wir vollständig aus dem Blickfeld der anderen.

Diese letzten Sekunden des Meetings, in denen die distanziert-kontrollierte Haltung der Teilnehmenden bricht, können nur diejenigen wahrnehmen, die nicht selbst darauf konzentriert sind, das Meeting zu verlassen. Die Situation wird umso intimer, je weiter sich die Teilnehmenden beim Suchen des Feldes gen Bildschirm und Kamera lehnen. Die digitale Entfernung zweier Gesichter entspricht der eines Kussmoments. Nur bekommen die Beteiligten diese Intimität selten mit. Da persönliche Verabschiedung und technisches Verlassen des Meetings nicht gleichzeitig erfolgen irritieren diese letzten Sekunden.

Vergleichbar sind sie vielleicht mit dieser analogen Situation: Zwei Personen haben sich voneinander verabschiedet, stellen dann aber fest, für den Heimweg in die gleiche Richtung laufen zu müssen. Auch hier entsteht ein kurzer Moment der Irritation, des peinlichen Berührtseins, da die Verabschiedung die Begegnung hätte abschließen sollen, dies aber nicht tut. Die Verabschiedung „misslingt“, da sich die Verabschiedeten nicht voneinander entfernen. In einer gelungenen analogen Verabschiedung wächst die Distanz der Verabschiedeten sukzessiv, in der gelungenen digitalen Verabschiedung erfolgt die Trennung kurz und schmerzlos. In einer misslungenen digitalen Verabschiedung nähern sich die Verabschiedeten im letzten vorgeneigten Blick jedoch einander an. Dieses Sich-Annähern kann nicht mit der Nähe einer Umarmung oder eines Handschlags verglichen werden, die ja selbst Bestandteil der Verabschiedung ist. Der letzte Blick in Zoom erfolgt aber nach der eigentlichen Verabschiedung, dem Winken und den Abschiedsworten.

Wie aber ist der letzte irritierende Eindruck beschaffen, den die Kamera einfängt, bevor das Bild verschwindet? Eineinhalb Stunden lang zeigten sich nur sortierte Gesichter, mittig im Blickfeld der Kamera angeordnet, die eigene Erscheinung konstant kontrollierend.1 All das verfällt in den letzten Sekunden, im Ringen mit der Technik: ein desorientiertes Gesicht, umherhuschende Augen, ein letzter konzentrierter Blick, ein schwarzer Bildschirm. Die für das Meeting aufgebaute „persönliche Fassade“ (Goffman 2017:25) bricht.

Auch der Fokus der Blicke irritiert. Der letzte Blick einer analogen Verabschiedung gilt dem Gegenüber. Bevor die sich Verabschiedenden einander ihre Rücken zuwenden und sich nicht mehr sehen, richten sie ihre Blicke aufeinander. Die letzten Sekunden einer analogen Verabschiedung betonen das miteinander Verbundensein. Ganz anders ist es in der Zoom-Verabschiedung: Der letzte Blick gilt nicht dem Gegenüber, sondern der Technik. Die suchenden Augen und der lesende Blick wollen nur eines: das Meeting verlassen. Die letzten Sekunden der digitalen Verabschiedung betonen das Alleinsein.

So irritieren Verabschiedungen via Zoom dreifach: Die Gesichter nähern sich an, sie verlieren ihre Fassung, sie vergessen das Gegenüber.

Zum Glück gibt es Möglichkeiten, die Irritation zu reduzieren. Eine Möglichkeit ist es, das Meeting heimlich vorzeitig zu verlassen, während die Diskussion noch im Gang ist, oder plötzlich das Internet ausfallen zu lassen. Eleganter ist es, aufzustehen und aus dem Raum zu treten … Denjenigen, denen jedoch nicht danach zumute sein sollte unterhalb des Kamerablickfelds zurück zum Computer zu krabbeln, um das Meeting auch technisch zu verlassen, empfehle ich die von mir bevorzugte Variante: Während sich das Ende des Meetings anbahnt, klicke ich das erste Mal auf „Meeting verlassen“. Ich bewege dann meinen Cursor auf das daraufhin erscheinende Feld, mit dem ich mein Verlassen bestätigen und endgültig verschwinden würde. Aber Achtung: nicht klicken! Wenn dann alle winken und ihre Verabschiedungen sprechen, tue ich selbiges. Aber Achtung: auf keinen Fall den Cursor zum Unmuten bewegen, dann wäre alles verloren! Der Cursor hat unbedingt auf dem Feld für das endgültige Verlassen des Meetings zu bleiben. Das Unmuten muss in dieser Variante per Kurzbefehl erfolgen. Sodann gilt es, mit einer flüssigen Bewegung die winkende Hand auf Touchpad oder Maus zu senken, dabei in die Kamera zu lächeln und den finalen Klick zu tätigen.


1 In ihrem Artikel über Körperlichkeit in Zoom Seminaren geht Nana ausführlicher auf die visuelle Selbstkontrolle ein.

Weiterführende Literatur

Goffman, Erving. 2017. Wir alle spielen Theater: die Selbstdarstellung im Alltag. Ungekürzte Taschenbuchausgabe, 17. Auflage. München Berlin Zürich: Piper.

Weiterlesen?

Hier geht’s zu dem themenverwandten Artikel Körper-Kontakt in Blick und Bildschirm – Anthropologie einer zoomenden Gesellschaft“

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