In der Men in Black-Filmreihe leben Menschen und Außerirdische auf der Erde größtenteils friedlich zusammen, ohne dass die Öffentlichkeit darüber Kenntnis besitzt. Die titelgebenden Men in Black sind eine US-amerikanische Spezialeinheit, die dafür sorgt, dass dieses Zusammenleben möglichst reibungslos verläuft. In einer Szene im dritten Teil treffen die Geheimagenten J (Will Smith) und K (Tommy Lee Jones) in einem chinesischen Restaurant auf den außerirdischen Restaurantbesitzer Mr. Wu (Keone Young). Den Anstoß für die folgende szenische Analyse gab das Buch Visualizing Orientalness von Björn Schmidt, in welchem er unter anderem beschreibt, dass Chinatowns in der Zeitspanne von 1910 bis 1930 als „vice-ridden space filled with secret backrooms hidden behind fake facades“ charakterisiert wurden. Wie aber werden Chinatowns heutzutage dargestellt?
Nichts ist so wie es scheint. Unter diesem Motto schwenken die Filmemacher von Men in Black 3 (2012) in die Chinatown von New York. Die beiden Geheimagenten J und K verdächtigen das chinesische Restaurant, Ursprungsort von gefährlichen Darmwürmern außerirdischer Herkunft zu sein. Der erste Frontalblick zeigt das Restaurant mit einem neonleuchtenden Schild über der Tür: „Wu’s Diamond Garden Sea Food Restaurant“. Dieses wird durch zwei Shrimps eingerahmt, die durch ihre Fühler und Schreitbeine außerweltliche Assoziationen wecken – als Vorbereitung auf das Geschehen im Inneren des Restaurants.
Unterteilt wird die innere Welt des Restaurants in das Vordergründige, das Oberflächliche, und etwas ‚dahinter‘, das sich ‚hinter den Kulissen‘ abspielt. „Show us the tanks in the back“, sagt K zu Mr. Wu, dem vermeintlich chinesischen Restaurantbesitzer, der beide in gespielt schlechtem Englisch begrüßt. Wu gerät ins Stottern und behauptet, sie nicht verstanden zu haben. J konfrontiert ihn mit den Worten, er solle sich seinen „chop-sucky bullshit“ für die Tourist*innen aufheben und Wu wechselt zu akzentfreiem Englisch. Die geteilte Verräumlichung des Vorder- und Hintergründigen wird in Men in Black 3 durch ihre Akteur*innen konkretisiert. Die Tourist*innen sehen nur den vorderen Raum: den harmlosen Restaurantbesitzer und sein chinesisches Restaurant. Durch spezielle Akteure – die beiden Geheimagenten – wird dem Publikum jedoch statt dem touristisch-oberflächlichen Einblick der Zutritt in die private Sphäre ‚dahinter‘ ermöglicht. Gemeinsam inspizieren J und K die Küche, welche voller außerirdischer Wesen ist, die auf der Erde nicht zum Verkauf angeboten werden dürfen. K bezeichnet diese nur abwertend als „unlicensed extraterrestrial foodstuffs“. Der Besitzer versucht, das Essen als chinesische Delikatessen zu tarnen: „That is an earth fish. Very traditional in China“. Nach den Worten „You arrest me, that’s a hate crime“ wird er von K in seiner ‚Nicht-Chinesischheit‘ als Außerirdischer ‘entlarvt’: „It would be if you were Chinese“. K reißt ihm seine Schürze und Mütze vom Leibe und es kommen Fühler, mehrere glitschige Arme sowie eine Art Schwanz darunter zum Vorschein.
Es wird deutlich, dass die Geheimagenten nicht nur als Schlüsselfiguren dienen, die uns in eine verborgene Welt führen sollen, sondern dass sie versuchen die Fassade dieser Welt (teilweise gewaltsam) zu durchbrechen, um ihr ‚wahres‘ Wesen zum Vorschein zu bringen. Am deutlichsten zeigt sich dies, als K den Unterkörper des Restaurantbesitzers Wu entblößt, seinen Körper also auf eine entwürdigende Art und Weise demaskiert, um ihn als Außerirdischen zu enttarnen. Die Idee des Vorder- und Hintergründigen wird sowohl auf das Restaurant als auch auf Wu selbst übertragen: Sein Gebaren als harmloser Chinese entpuppt sich als bloße Maskerade eines Außerirdischen.
Gerechtfertigt wird das Eindringen der Geheimagenten durch ihre Funktion als Gesetzeshüter. Ihr Zutritt dient keinem Voyeurismus, sondern allein dem Zweck, das Restaurant als Handlungsort illegaler Machenschaften aufzudecken, in dem es Recht und Ordnung wiederherzustellen gilt. Dem Inhaber hingegen werden aufgrund seiner außerirdischen Herkunft und nicht lizensierten Tätigkeiten einfache Grundrechte abgesprochen – beispielsweise, als der Geheimagent K Wu mit einem Spiky Bulba, den er als Speise für den Filmbösewicht Boris erkennt, mehrfach ins Gesicht schlägt, um Wu zu einer Antwort auf die Frage zu zwingen, für wen der Spiky Bulba bestimmt sei. J schreitet ein und erinnert Wu an die Regeln: „Earth people get earth fish. Real earth fish“.
Funfact: Einer der im Film gezeigten vermeintlich außerirdischen Fische ist der australische Blobfisch. Dieser lebt normalerweise tief unter der Meeresoberfläche. Durch den niedrigeren Druck an der Oberfläche verformt sich seine gallertartige Körpermasse zu seinem ‚blob‘-artigen Aussehen. Die Unterscheidung zwischen Irdischem und Außerirdischem wird so im Film parodiert und verkehrt.
Es ist kein Zufall, dass als Schauplatz der Begegnung zwischen Außerirdischen und Geheimagenten das Restaurant in der New Yorker Chinatown dient. Björn Schmidt schreibt hierzu: „Since the emergence of film as a new medium around 1900, Chinatown had been among the most popular settings and served as a vehicle for the depiction of supposedly exotic cultures and places“. Das chinesische Restaurant eignet sich daher für diese Szene besonders, da es die Fantasie des Exotischen, Fremdartigen, Anderen in sich vereint und (positive) Aufregung, aber auch Angst vor dem Unbekannten hervorruft. Die Vorstellung, Aliens könnten sich an diesem Ort aufhalten und treffen, stellt eine verstärkte, überspitzte Form des Exotisierens und Verfremdens dar, eine Alienisierung [lat. alienus = fremd] im wahrsten Sinne des Wortes. Gleichzeitig geht die Hoffnung auf eine authentische und tiefgründige Erfahrung von Fremdheit und Andersartigkeit mit der Angst vor deren Verkehrung, vor ‚fakeness‘, Oberflächlichkeit und Unauthentizität einher. Björn Schmidt stellt fest, dass Chinatowns dem permanenten Verdacht unterliegen, sie wären nur „fake tourist attractions“. Laut seiner Analyse, die den Theorien von Dean MacCannel und John Urry folgt, konstruiert der touristische Diskurs eine räumliche Unterteilung der Chinatowns in eine „front region“ (eine für Touristen kreierte räumliche Sphäre, die dem Verdacht der ‚fakeness‘ unterliegt) und eine „back region“ (eine Sphäre „of absolute privacy“, welche als ‚real‘ oder authentisch gilt). Das Besondere an Filmen wie Men in Black 3 ist daher, dass in ihnen, wie bereits beschrieben, der Zutritt zur vermeintlich authentischen „back region“ durch spezielle Akteur*innen ermöglicht wird: ein normalerweise unmögliches Vorhaben, da ein wiederholtes Eindringen besagten Raum in eine touristische Sphäre verwandelt. Der Konflikt zwischen ‚fake‘ und ‚real‘ schlägt sich aber nicht nur auf der räumlichen Ebene nieder, er zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Szene. J greift ihn auf, als er Wu darauf hinweist, dass Erdbewohner nur „real earth fish“ bekommen sollten. Der Blobfisch hingegen wird nicht für einen heimischen Fisch gehalten, ist aber in Wahrheit einer.
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