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„Der große Austausch“ und der Dreiklang der Gewalt: Antifeminismus, Antisemitismus und Rassismus im Rechtsterrorismus

„Hallo, mein Name ist Anon, und ich glaube, der Holocaust hat nie stattgefunden. Feminismus ist schuld an der sinkenden Geburtenrate im Westen, die die Ursache für Massenimmigration ist – und die Wurzel dieser Probleme ist der Jude.” Das sind die Worte, mit denen Stephan B. sich am 9. Oktober 2019 seinem twitch-Publikum vorstellte. Unmittelbar bevor er versuchte, einen Massenmord in einer Synagoge zu begehen. Seine Tat war nicht die erste des Jahres, im Gegenteil.

Am 15. März 2019 ermordete Brenton T. im neuseeländischen Christchurch 51 Menschen. Seine Tat kündigte er zuvor auf dem Imageboard 8chan an. Dort veröffentlichte er auch ein 74-seitiges Pamphlet, kurz bevor er die Tat live auf Facebook übertrug. Das Ziel der medialen Selbstinszenierung: Potentielle Nachahmer:innen zu weiteren Taten anstiften. Eine Strategie, die aufgehen sollte: Inspiriert von T. versuchte ein 19-Jähriger am 27. April im kalifornischen Poway einen Massenmord in einer Synagoge zu begehen. Einige Monate später dann, am 3. August, ermordete der 21-jährige Patrick C. im texanischen El Paso 22 Menschen. Im Oktober folgte der Anschlag von Halle. Und knapp ein Jahr nach Christchurch, am 19. Februar 2020, erschoss Tobias R. in Hanau zehn Personen.

Die Täter: Allesamt Männer. Doch das ist nicht die einzige Gemeinsamkeit. Sei es die Radikalisierung im Internet, die Auswahl der Opfer, die an Ego-Shooter erinnernde Live-Streams, veröffentlichte Pamphlete, oder Ankündigungen auf sogenannten Imageboards: Die rechtsterroristischen Anschläge des vergangenen Jahres weisen zahlreiche Verbindungen zueinander auf. Trotzdem werden sie oft isoliert voneinander betrachtet, die Taten als grausamer Akt der Gewalt „geistig verwirrter Einzeltäter“ entpolitisiert und die Täter als „einsame Wölfe“ bezeichnet. Das ist fatal, denn: Die vermeintlich einsamen Wölfe bewegen und radikalisieren sich gemeinsam – im digitalen Rudel. Und: Die Betrachtung der Fälle als Einzeltaten verkennt die wichtigste Komponente rechten Terrors: Die ihm zu Grunde liegende Ideologie. Also jener Erzählung, die aus einem Menschen einen Massenmörder macht und grausamen Gewaltakten einen vermeintlichen Sinn verleiht. Denn niemand wird als Rassist oder Antisemit geboren. Es gibt kein Gen, das jemanden zum Rechtsextremen macht. Das passiert gesellschaftlich – durch Ideologie. Das bedeutet: Die Täter mögen allein handeln, aber sie sprechen eine gemeinsame Sprache. Ihre Morde speisen sich aus der gemeinsamen Überzeugung einer natürlichen Ungleichwertigkeit von Menschen. Und die Rechtsterroristen der 2010er Jahre eint noch etwas: Sie alle berufen sich zur Rechtfertigung ihrer Taten auf verschiedene Versatzstücke einer Erzählung, die in den letzten Jahren Hochkonjunktur in rechten Kreisen erfährt. Eine Erzählung, die Antisemitismus, Antifeminismus und Rassismus in sich eint und der der Aufruf zur Gewalt eingeschrieben ist: Die Rede ist von der Mär vom „Bevölkerungsaustausch“.

Der „große Austausch“ und der Untergang des Abendlandes

Der Kern der Erzählung: Man glaubt an eine Art (jüdische) Weltverschwörung, die weiße Menschen im globalen Norden durch nichtweiße Menschen ersetzt. Demnach sorgen Individualismus und Feminismus für sinkende Geburtenraten im globalen Norden, während „volksfeindliche Eliten“ massenhaft Migrant:innen ins Land holen – als billige Arbeitskräfte, zukünftige Wähler:innen und Konsument:innen. Und um die „autochthone“ Bevölkerung nach und nach auszutauschen. So fantasieren Rechtsextreme den drohenden Untergang ihrer „Rasse“ herbei. Das ist eigentlich nichts Neues: Konstruierte Bedrohungsszenarien sind seit jeher das Fundament eines rechten Kulturpessimismus, der weiße Täter:innen zu Opfern einer globalen Verschwörung umdeutet und zugleich zur Handlung aufruft: „Wehrt euch“. Man mag das als schwachsinnig abtun. Aber die auf (gesamt)gesellschaftlich anschlussfähige Ressentiments aufbauende Verschwörungserzählung vereint quasi sämtliche Charakteristika rechtsextremer Untergangsfantasien: Der Aufruf zur „Revolte“ ist ihr ebenso eingeschrieben wie wesentliche Puzzleteile des Rechtsextremismus: Antifeminismus, Antisemitismus und Rassismus. Und an diesen Puzzleteilen bedienen sich rechte Terroristen, um ihre Gewalt zu rechtfertigen und ihre Ziele auszuwählen.

Man kann sich das wie in einem Selbstbedienungsladen vorstellen: Jeder „Kunde” greift zu unterschiedlichen Mengen verschiedener Waren, aber alle kaufen im selben Laden ein. Und dieser Laden hat ein festes Angebot, aus dem überhaupt gewählt werden kann. Übertragen auf rechten Terror bedeutet das: Täter, Taten und Motive unterscheiden sich in Einzelheiten. Aber alle zehren von einem gemeinsamen ideologischen „Grundangebot”. Deshalb ist es so wichtig, dieses Grundangebot zu kennen, an dem sich rechte Terroristen bedienen: Aus diesem Angebot speisen sich die drei Feindbilder des Rechtsterrorismus: Feminismus, Jüdinnen und Juden, sowie rassistisch markierte Menschen.

Rechter Antifeminismus

Der Christchurch-Attentäter Brenton T. beginnt die Ausführung seiner Tatmotive mit einer dreifachen Wiederholung eines einzigen Satzes: „It’s the birthrates…“, schreibt er. Eine Formulierung, die in seinem Pamphlet insgesamt 21-mal vorkommt. Und damit unverzüglich auf einen der zentralen Bausteine rechtsextremer Ideologie hinweist: Antifeminismus. Dieser setzt am Fundament der rechtsextremen Weltsicht an, der biologistisch angenommenen Ungleichheit der Menschen. Biologistisch bedeutet, Gesellschaftliches in biologische Tatsachen umzudeuten. Und damit Dinge als „natürlich“ darzustellen, die es gar nicht sind. Das immunisiert gegen jede Kritik. Rechtsextremist:innen zufolge gibt es also von Natur aus Hierarchien zwischen verschiedenen „Völkern” und/oder Kulturen, die von Demokratie, Aufklärung und Liberalismus angeblich „widernatürlich“ aufgehoben wurde. Es zählt das Kollektiv, die vermeintlich überlegene „Rasse“, bzw. das „Volk“. Und nicht die einzelne Person, wie von Aufklärung und Liberalismus propagiert. Die muss immer im Dienst der eigenen Schicksalsgemeinschaft stehen. „Wo der Volkskörper zählt, sind die Einzelnen nur noch Funktion für dessen Erhalt“ schreibt die Soziologin Karin Stögner.1 Damit der imaginierte Volkskörper aber langfristig überlebt, muss er – aus rechtsextremer Perspektive – „reingehalten“ werden. Schließlich führt „Vermischung“ angeblich zum Niedergang. In dieser Logik braucht es demnach Frauen, die ausreichend Kinder bekommen, damit das eigene, „wünschenswerte Volk“ fortbesteht. Und deshalb Frauen, deren Begehren sich ausschließlich auf Zugehörige der eigenen Volksgruppe richten darf.

Frauen haben in der rechtsextremen Ideologie also eine zentrale Funktion: weiße Kinder bekommen, damit das „Volk“ (oder wahlweise die „Rasse“, Kultur, Nation oder Zivilisation) überlebt. Der Feminismus dient einerseits als Schuldiger für niedrige Geburtenraten, die das Überleben des „Volkes” gefährden. Und andererseits als Ursache für ein freies und selbstbestimmtes weibliches Begehren, dass sich eben nicht auf irgendwelche völkisch festgelegten Gruppen bezieht – und deshalb ebenfalls die „Reinheit“ und damit auch das Überleben der eigenen „Rasse“ gefährde.


1 Stögner, Karin: Angst vor dem „neuen Menschen“: Zur Verschränkung von Antisemitismus, Antifeminismus und Nationalismus in der FPÖ, in: Stephan Grigat [Hrsg.], AfD & FPÖ: Antisemitismus, völkischer Nationalismus und Geschlechterbilder, Baden-Baden 2017, S. 140

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