Frauen sind als Teilnehmerinnen in klinischen Pharmastudien immer noch unterrepräsentiert; mit schwerwiegenden Konsequenzen für ihre Gesundheit.
Obwohl Frauen 50,7% der deutschen Bevölkerung und sogar 55% der Medizinstudierenden ausmachen, sind sie nach wie vor dunkle Flecken auf der sonst helleren Forschungslandkarte. Doch warum ist das so?
Frauen sind medizinisch eben nicht Männer mit Brüsten und Uterus, sondern besitzen im Vergleich zu ihren männlichen Artgenossen einen weitaus komplexeren und variableren Hormonhaushalt, , der alle Körperfunktionalitäten entscheidend bestimmt. Trotzdem sind Frauen als Forschendes sowie als Erforschtes Subjekt gegenüber Männern unterrepräsentiert. Das hat schwerwiegenden Folgen für ihr (Über)leben.
Entwicklung von Medikamenten
Die Wirksamkeitserforschung von Medikamenten erfolgt in vier Studienphasen. In der ersten Phase wird an gesunden Proband*innen überprüft, ob ein Medikament überhaupt verträglich oder nicht gar tödlich ist. In der zweiten Phase wird an Erkrankten die Dosierung ausgetestet und bestimmt. Inder dritten Phase liegt der Schwerpunkt auf der Ermittlung möglicher Nebenwirkungen. Die vierte Phase wird durchgeführt, wenn ein Medikament bereits zugelassen wurde. Jetzt werden seltene Nebenwirkungen systematisch erfasst. Oft wird erst in der dritten Studienphase eine signifikante Zahl von Frauen in die Studien mit einbezogen. In vielen Studien liegt der Frauenanteil zwischen 30 und 50%. Das hat laut dem vfa (Verband forschender Arzneimittelhersteller) durchaus wichtige Gründe.
Doch die natürlichen Schwankungen des weiblichen Hormonzyklus könnten die Testergebnisse vonStudien verfälschen. Außerdem könnten Frauen schwanger sein oder werden. Die Sorge um das potentielle Leben des Ungeborenen, das eine Frau in sich tragen könnte, reicht vielenStudienleiter*innen schon aus, umdeutlich weniger Frauen in ihre Studien einzubeziehen. Dieses Phänomen ist eine bestechendeTatsache, die Pharmastudien seit den 50er Jahren geprägt hat. Der Contergan Skandal ist ein Mahnmal für die moralische Haltung, Medikamente nicht an den Menschen zu testen, die sie einnehmen werden.
Zu dem Skandal:
Das Schlaf- und Beruhigungsmittel Contergan wurde an nur einer einzigen Schwangeren „getestet“: ein Mitarbeiter von Grünentahl wollte seiner schwangeren Frau zu einem ruhigeren Schlaf verhelfen und nahm eine Probe Contergan aus dem Labor mit. Das Kind kam einige Monate später ohne Ohren auf die Welt. Doch da war es schon zu spät: die Werbetrommel für Contergan als Wunderschlafmittel für Schwangere lief bereits auf Hochtouren.
Im Vergleich zu damals hat sich heute einiges verändert. Es wird mehr getestet, bevor ein Medikament die Marktzulassung erhält. Doch an Frauen wird immer noch zu wenig getestet.
Heute ist bekannt: bei jedem Geschlecht wirken Medikamente anders. Seit ein paar Jahren ist beispielsweise bekannt, dass die Blutdrucksenker der ACE-Hemmer-Klasse zwar bei Männern mit Bluthochdruck zu einer geringeren Mortalität beitragen, auf die Mortalität von Frauen jedoch keinen signifikanten Einfluss haben. Dafür treten bei Frauen deutlich mehr ACE-Hemmer-Nebenwirkungen, wie etwa Reizhusten, auf.
Die Digitalis Herzglykoside, die bei Herzinsuffizienz oder Arhythmien eingesetzt werden, helfen Männern, führen aber zu einer Mortalitätssteigerung bei Frauen, im Vergleich zu einer Placebo-Kontrollgruppe. Studien, die diese Unterschiede belegen, wurden bei dem Digitalis Herzglykosiden, die seit knapp achthundert Jahren medizinisch eingesetzt werden, erst in den letzten 20 Jahren durchgeführt.
Verkehrte Welt
Es gibt auch Ausnahmen. Einige wenige Medikamente werden ausschließlich an Frauen getestet. Hierbei handelt es sich um Medikamente, die auch ausschließlich bei Frauen eingesetzt werden sollen. Beispiele dafür sind einige Therapeutika der Brustkrebstherapie. Wurde ein Medikament nur an Frauen getestet, darf es nicht bei Männern eingesetzt werden. Wurde das Medikament nur an wenigen Männern getestet, so tun sich Probleme auf, wie wir sie von den ACE-Hemmer oder den Digitalis Herzglykosiden bei Frauen kennen. Ein Mann ist eben auch keine Frau ohne Uterus und ohne Brüste. Jedes Jahr erkranken etwa 700 Männern in Deutschland an Brustkrebs. Setzen Ärzte nun ein „Frauen-Medikament“ bei Männern ein, riskieren sie den „Off-Label-Use“
Der „Off-Label Use“
„Off-Label-Use“ ist der Einsatz eines Arzneimittels ohne eine Zulassung für eine Anwendung oder eine Patientengruppe. Eine Zulassung für eine Patientengruppe wird dadurch erworben, dass an dieser Gruppe erfolgreiche Studien durchgeführt wurden. Nur heißt das nicht etwa, dass ein Medikament an in bevölkerungsrepräsentativen Stichproben getestet werden müsste. Es reichen schon wenige Probanden oder Probandinnen aus, um eine Zulassung zu erhalten – Sofern ein Medikament bei vielen Männern wirksam ist. An Frauen wird also im Grunde struktureller „Off-Label-Use“ betrieben.
Und die lieben Kinder?
Bei Kindern ist die Lage noch schwieriger als bei Frauen. Niemand möchte ein Risiko bei ihnen eingehen und ein potentiell unsicheres Medikament an Kindern testen. Aufgrund von ethischen und rechtlichen Bedenken werden nur sehr wenige Pharma-Studien an Kindern und Jugendlichen durchgeführt. Nur die Hälfte der bei Kindern eingesetzten Medikamente ist auch tatsächlich für sie zugelassen. Die andere Hälfte sind geringer dosierte „Erwachsenen-Medikamente“, die „Off-Label“ eingesetzt werden. Doch auch Kinder haben einen ganz eigenen Körperbau mit einer ganz anderen Stoffwechselrate und oft schlechteren Abbaufähigkeiten für Medikamente.
Auch wenn in den letzten Jahren Klischee-Studien immer repräsentativer geworden sind, werden Frauen und Kinder zu wenig berücksichtig. Vor Allem in den frühen klinischen Phasen sind Frauen unterrepräsentiert. Das muss sich ändern!
Autor: Jan Hendrik Blanke