In Berlin-Mitte wird gerade ein Betonklotz mit barocker Fassade fertiggestellt: Das wiederaufgebaute Stadtschloss beziehungsweise Humboldt-Forum. Wohl kein Bauprojekt in Deutschland seit der Wiedervereinigung hat so viele Kontroversen hervorgerufen. (Außer vielleicht der Flughafen BER.) Ende 2020 soll das Haus eröffnen und dabei hauptsächlich die Sammlungen des ehemaligen Ethnologischen Museums in Berlin-Dahlem enthalten: Alte Schiffe und Häuser aus Ozeanien, asiatische Kunst und historische Artefakte aus Afrika, wie etwa Teile der berühmten Benin-Bronzen, die 1897 von einer britischen Strafexpedition aus dem Königspalast von Benin-Stadt geraubt wurden. Der Umgang mit kolonialen Artefakten wie den Benin-Bronzen ist die erste Kontroverse, die um das Humboldt-Forum ausgetragen wird. So kritisierte die Initiative No Humboldt 21, dass ausgerechnet in dem ehemaligen Schloss, „wo schon die ersten überseeischen Schätze Berlins präsentiert wurden“1 und dessen frühere Hausherren „hauptverantwortlich für die Versklavung Tausender Menschen aus Afrika sowie für Völkermorde und Konzentrationslager in Deutschlands ehemaligen Kolonien“2 waren, Artefakte aus kolonialen Zusammenhängen präsentiert werden sollen. Doch nicht nur die Nutzung des künftigen Humboldt-Forums, sondern auch das Gebäude selbst kann in einem kolonialen Zusammenhang gesehen werden. Denn, wie ich in diesem Essay argumentieren werde, ist der Wiederaufbau des historischen Stadtschlosses nichts weniger als ein ideologischer Sieg des Westens über den Osten und der Versuch einiger Eliten, mit einem Märchenschloss die Umbrüche der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert wegwischen zu wollen.
Zunächst aber ein Blick auf die Geschichte des Stadtschlosses:
Die ersten Ursprünge des Schlosses liegen im 15. Jahrhundert, als die Brandenburgischen Kurfürsten entschieden, das wirtschaftlich aufstrebende Berlin als ihre Residenzstadt zu wählen. Auf der Spreeinsel wurde eine gotische Burg gebaut, die später durch einen Renaissance-Palast ersetzt wurde. Um 1700 gab dann Andreas Schlüter, Hofarchitekt des ersten preußischen Königs Friedrich I., dem Schloss seine bekannte barocke Form. Der sogenannte „Schlüter-Bau“ war für rund 200 Jahre das Residenzschloss der preußischen Herrscher. So war es das politische Zentrum Preußens und später des Deutschen Kaiserreiches und damit auch Schauplatz für wichtige Ereignisse in der deutschen Geschichte – eine friedliche Demonstration auf dem Schlossplatz war 1848 Auslöser der Märzrevolution. 66 Jahre später, im Jahr 1914, stimmte hier Kaiser Wilhelm II. in einer Rede seine Untertanen zum herannahenden Krieg gegen Frankreich ein. Und als vier Jahre später die Monarchie in Deutschland am Ende war, proklamierte der Sozialist Karl Liebknecht hier am 9. November 1918 eine Freie Sozialistische Republik.3 Doch er kam „zu spät“ – zwei Stunden zuvor hatte bereits der Sozialdemokrat Philipp Scheidemann am Reichstagsgebäude eine demokratische Republik ausgerufen.
Im Zweiten Weltkrieg wurde das Stadtschloss von Bomben stark beschädigt, war aber in seiner Substanz weiterhin stabil. So gab es auch Versuche, das Stadtschloss zu sanieren, und der Architekt Hans Scharoun – bekannt durch den Bau der Berliner Philharmonie – ließ erste Sicherungsarbeiten durchführen. Dennoch entschied 1950 der SED-Vorsitzende Walter Ulbricht, das Schloss zu sprengen. Für viele SED-Funktionäre war es ein Symbol des „Preußischen Militarismus“. Ironischerweise wurde der durch den Abriss des Schlosses freiwerdende Platz später für Militärparaden und andere Propagandaveranstaltungen der „realsozialistischen“ DDR-Regierung genutzt.
Zwischen 1974 und 1976 entstand auf dem Gelände des ehemaligen Schlosses der Palast der Republik. Der von einem Kollektiv um Heinz Graffunder und Karl-Ernst Swora nach dem sozialistischen Konzept eines „Volkshauses“ entworfene Bau umfasste Unterhaltungseinrichtungen wie einen großen Theater- und Konzertsaal, Restaurants, Cafés und Galerien. Er wurde aber auch von der Volkskammer, dem pseudodemokratischen Parlament der DDR und für Parteitage der SED genutzt. Wie zuvor das Schloss das politische Zentrum Preußens war, war der Palast der Republik das politische und soziale Zentrum der DDR. Und im Jahre 1990 beschloss hier auch die erste frei gewählte Volkskammer den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik am 3. Oktober.
Zwei Wochen vor diesem Datum wurde der Palast der Republik aufgrund seiner hohen Asbestbelastung geschlossen. In den folgenden Jahren wurde er entkernt, der Asbest entfernt und der Bau für Kunstausstellungen und andere Veranstaltungen genutzt – sie sollten zeigen was mit dem Gebäude immer noch möglich war. Auch zahlreiche Westdeutsche lernten zwischen 2003 und 2005 durch Ausstellungen wie Volkspalast, Der Berg oder White Cube den Palast kennen. Diese Zeit kann als ‚das kurze zweite Leben‘ des Palastes der Republik bezeichnet werden und sie sorgte dafür, dass er ‚entideologisiert‘ wurde. Statt zu einem Symbol eines untergegangenen Staates und seiner Ideologie, wurde er zu einem offenen Kunst- und Kulturhaus, das gerade deshalb in die von historischen Umbrüchen geprägte Berliner Innenstadt zu passen schien. Doch sein Schicksal war zu diesem Zeitpunkt schon besiegelt. Nach Jahren der Debatten hatte 2002 der Bundestag entschieden, das Stadtschloss wieder aufzubauen und zwischen 2006 und 2008 wurde der Palast der Republik schließlich abgerissen.
Der Wiederaufbau als Füllen einer Lücke
Was waren die Gründe, den – bis auf die Asbestverseuchung – intakten Palast der Republik abzureißen und das Stadtschloss wiederaufzubauen? Es war der Journalist und Historiker Joachim Fest, der zuerst den Vorschlag machte, das Stadtschloss zu rekonstruieren. Zwei Monate nach der Schließung des Palastes 1990 erschien von ihm in der FAZ ein Plädoyer für den Wiederaufbau des Schlüterschen Stadtschlosses. Bald nach Erscheinen des Beitrages entstanden private Stiftungen und Vereine wie der Förderverein Berliner Stadtschloss, um Geld für den Wiederaufbau zu sammeln. Eine der führenden Figuren war dabei der Geschäftsmann Wilhelm von Boddien, der sich seit seiner Jugendzeit mit der Geschichte des ehemaligen Preußens und insbesondere des Stadtschlosses beschäftigte. Er sorgte dafür, dass sich die Öffentlichkeit 1993 einen ersten räumlichen Eindruck vom wiedererrichteten Schloss machen konnte, als eine vom Thyssen-Konzerns finanzierte Simulation des Schlosses errichtet wurde. Diese bestand aus bedruckten Planen und gab einen Eindruck von der Fassaden und den Dimensionen des früheren Schlosses. Die simulierte Hülle sollte in der öffentlichen Debatte um den Wiederaufbau des Stadtschlosses eine entscheidende Rolle spielen.
Entscheidend für die Debatte ist die Rhetorik von „der verlorenen Mitte Berlins“.4 2007, als der Wiederaufbau bereits beschlossen war, schrieb die FAZ, dass „eine Wunde […] geschlossen [wird]“.5 Das Stadtschloss wird dabei als ein soziales und politisches Zentrum verstanden. Im Hinblick auf die Stadtplanung Berlins war es das auch. All die Straßen drumherum, wie etwa der Boulevard Unter den Linden, aber auch Gebäude wie der Berliner Dom, das Zeughaus und auch das Alte Museum mit dem Lustgarten korrespondierten städtebaulich mit dem Schloss und unterstrichen seine hervorgehobene Stellung in der historischen Mitte Berlins.6 Doch nicht nur die prominente Architektur des Gebäudes selbst, sondern auch seine Funktion als Residenz der preußischen Herrscher ist in diesem Zusammenhang zu nennen, denn sie ist der Grund, warum Berlin die Hauptstadt des preußischen Staates wurde und später dann die von ganz Deutschland.
In diese historische Linie können wir aber auch den Palast der Republik setzen. In der Ideologie der DDR symbolisierte das Gebäude den Sieg des Sozialismus über die Trümmer des alten preußischen Systems.7 Mit ihm wollte die DDR-Führung „das utopische Bild einer offenen Gesellschaft vermitteln“8, und das gelang – wenn auch durch die systemischen Grenzen der DDR stark kontrolliert. Der Palast der Republik war das soziale Zentrum der DDR und mit wertvollsten Materialien aus der DDR selbst, aber auch anderen Ländern des Ostblocks dekoriert. Er war das teuerste Gebäude in der Geschichte der DDR und es wurden Gelder aus anderen Regionen der DDR abgezogen, um ihn in Rekordzeit zu errichten. Dies führte in den anderen Regionen zu Unmut gegenüber der Hauptstadt Ost-Berlin und auch zu spöttischen Bezeichnungen wie Palazzo Prozzo, Ballast der Republik oder Erichs Lampenladen – in Anspielung auf den DDR-Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker.
Wie Carol Anne Costabile-Heming in einem Essay von 2017 schreibt, kann „die Stadt als Collage gelesen werden, in der sich städtebauliche Haltungen, gesellschaftliche Ansprüche und der Umgang mit der Geschichte baulich manifestiert haben“.9 So ist die Debatte um den Wiederaufbau des Schlosses stark von der Auslöschung kontroverser Erinnerungen und den historischen Brüchen von 1918, 1933 und 1945 geprägt.10
Deutlich wird das in einem Text der Stern-Journalistin Anja Lösel, der 2007 kurz vor dem Abriss des Palastes des Republik erschien und in dem sie schreibt:
„Musste der Palast weg, weil wir ein Schloss brauchen? Nein. Weil einige Leute gern ein Schloss hätten? Schon eher. Weil man den Palast nur noch als ,Ballast der Republik‘ empfand und er die verhasste DDR-Vergangenheit symbolisierte. Ja, das war’s wohl.“11
Für die Unterstützerinnen und Unterstützer des Schlossaufbaues ist der Palast der Republik Symbol einer ungewollten Geschichte und Schandfleck in der historischen Mitte Berlins. Wie die SED, die 1950 die symbolischen Reste der preußischen Monarchie beseitigen wollte, wollten die regierenden Parteien des wiedervereinigten Deutschlands die Überreste des kollabierten Unrechtsstaats DDR beseitigen.
1 No Humboldt 21 ! (2018): Resolution. Moratorium für das Humboldt-Forum im Berliner Schloss. https://www.no-humboldt21.de/resolution/ (02.11.2020).
2 ebd.
3 Dies ist der Grund warum das Eosander-Portal, von dem damals Liebknecht sprach, als einziger Teil des alten Stadtschlosses erhalten blieb und später in das Staatsratsgebäude der DDR integriert wurde.
4 Grabbe, Katharina, Barner, Wilfried, Wagner-Egelhaaf, Martina (2012): Die Berliner Republik und Preußen. In: Deutschland – Image und Imaginares: Zur Dynamik der Nationalen Identifizierung nach 1999. Berlin/Boston: De Gruyter. S.187–224, hier S.214.
5 ebd., S.215.
6 Costabile-Heming, Carol Anne (2017): The reconstructed City Palace and Humboldt Forum in Berlin. Restoring architectural identity or distorting the memory of historic spaces? In: Journal of Contemporary European Studies, 25:4 (Autumn 2017). S.441-454, hier S.446.
7 vgl.ebd., S.449.
8 Haspel, Jörg, Schnedler, Henrik (2001): Denkmale der Hauptstadt der DDR. Zur Nachkriegsarchitektur im ehemaligen Ostteil von Berlin. In: Beutelschmidt, Thomas, Novak, Julia M. (Hrsg.) (2001): Ein Palast und seine Republik. Ort-Architektur-Programm. S. 27.
9 Costabile-Heming: The reconstructed City Palace and Humboldt Forum in Berlin. S. 443f.
10 ebd., S.448.
11 vgl. Lösel, Anja (2007): „Ach, ist das schön!“. Stern-Online, 20. Dezember 2007. https://www.stern.de/kultur/kunst/palast-der-republik–ach–ist-das-schoen—3219754.html (05.10.2020).
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