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Ein Märchenschloss in Berlins Mitte?

Dies passt auch zu dem oft von den Gegnern des Wiederaufbau – vor allem von Ostdeutschen –  geäußerten Argument, dass die Entscheidung, den Palast der Republik abzureißen, ein Versuch war, „den letzten Rest der DDR im historischen Zentrum zu beseitigen.“12 Dies zeigt die enge Verbindung, die viele Ostdeutsche mit ,ihrem Palast‘ hatten.

Grabbe et al. argumentieren in ihrem Aufsatz von 2013 mit dem Konzept des Zentrums des französischen Philosophen Roland Barthes. Für ihn ist das historische Zentrum westlicher Städte ein „Ort der Wahrheit“ und etwas „Volles“ und repräsentiert durch religiöse Gebäude wie Kirchen, Warenhäuser, aber auch Büros die Werte einer Gesellschaft. Für Grabbe et al. ist demzufolge die Diskussion um den Wiederaufbau des Schlosses nichts weiter als

„– Er- und Durchsetzung – eines privilegierten Signifikanten. Die Debatte behauptet das Schlossareal (zwischenzeitlich Marx-Engels-Platz, heute wieder Schlossplatz) als ‚Mitte‘ und damit als ebenjenes Zentrum, das Barthes als identitätstiftenden Ort innerhalb westlicher Gesellschaften beschreibt. Da es sich bei Berlin um die Hauptstadt der Bundesrepublik handelt, wird die Berliner Mitte zur Mitte der Nation. Der Streit um das Stadtschloss kann also als Streit über die grundsätzlichen Werte der Nation bzw. über die Identität der Nation verstanden werden.“13

Die Führung der DDR wollte durch eine Beseitigung des alten, historisch gewachsenen Stadtkerns und den Bau von Prestigegebäuden wie den Arbeiterpalästen in der Karl-Marx-Allee, dem Fernsehturm, aber auch dem Palast der Republik die Mitte Berlins und damit auch die Mitte der damaligen DDR im Sinne ihrer sozialistischen Ideologie radikal umgestalten. Gleiches sehen wir nun auch in der Debatte um den Schlosswiederaufbau. Diese ging teilweise sogar soweit, dass nicht nur das Schloss wiederaufgebaut, sondern sämtliche Reste von 40 Jahren DDR in der Berliner Stadtmitte beseitigt werden sollten. So gab es 1990 in der Tat Vorschläge, den Berliner Fernsehturm abzureißen. Eine Idee, die im Hinblick auf die heutige Symbolkraft des Fernsehturms als Berliner Wahrzeichen undenkbar erscheint.

Das wiederaufgebaute Stadtschloss als Hülle für etwas komplett Neues

Dieser ideologische Aspekt in der Schloss-Debatte kann auch in der Funktion und Gestalt des Gebäudes gesehen werden, die für lange Zeit unklar war. So lag nicht nur eine vollständige Rekonstruktion des ehemaligen Schlosses samt seiner historischen Innenräume auf dem Tisch, sondern auch Ideen für ein komplett neues Gebäude, das womöglich auch Teile des Palastes der Republik miteinbezogen hätte. Auch sind bestimmte Gebäudedetails strittig: So gab es lange Debatten, ob die Kuppel des Neubaus mit einem Kreuz bekrönt sein sollte, wie es beim ursprünglichen Schloss der Fall war.

Obwohl die Diskussionen um den Wiederaufbau rasch nach der Deutschen Einheit Anfang der 90er begann, sollte es bis April 2002 dauern, bis die Experten-Kommission Historische Mitte Berlin vorschlug, die drei Barockfassaden des Schlosses und den Schlüterhof wiederaufzubauen. Das war zwar keine vollständige Rekonstruktion, kam ihr aber ziemlich nahe. Auch wurde damals beschlossen, mit dem Humboldt-Forum ein Museum in dem Schloss einzurichten. Dieses sollte die nicht-europäischen Sammlungen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die wissenschaftsgeschichtlichen Sammlungen der Humboldt-Universität und Bestände der Berliner Stadtbibliothek enthalten. Benannt nach den preußischen Wissenschafts- und Bildungsreformern Wilhelm und Alexander von Humboldt, begreift es sich als ein „,Ort der Information, der Begegnung und des Vergnügens‘ […] und versteht sich als Ergänzung zur gegenüberliegenden Museumsinsel.“14 Um dieses Ziel zu erfüllen, ist das Humboldt-Forum trotz der Rekonstruktion der barocken Schlossfassaden im Innenraum ein komplett neues Gebäude. Die Entscheidung, nur die Fassaden wieder zu errichten, wurde oft kritisiert, denn so ist das Humboldt-Forum nicht mehr als eine Hülle.15 Für Grabbe et al. ist es ein repräsentatives Gebäude, welches zeigen soll, dass das vereinte Deutschland sich selbst in der Tradition des „liberale[n], tolerante[n], reformerische[n] und vornationale[n] Preußen der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts“16 sieht. Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz sagte, dass „Die Welt [auf das] blickt […], was wir hier in der Mitte unserer Hauptstadt tun.“17 Der Sinn des Gebäudes ist also nicht mehr und nicht weniger, als die Beziehung Deutschlands zu seiner eigenen Geschichte zu zeigen. Das zeigt sich auch in der Debatte um die Gestaltung des Schlossumfeldes: So soll auf dem Standort des früheren Kaiser-Wilhelm-Nationaldenkmals an der Schlossfreiheit das umstrittene Einheits- und Freiheitsdenkmal in Form einer begehbaren Schale gebaut werden. Auch hier gab es wie beim Schloss Debatten, Teile des alten Denkmals wiederaufzubauen und es wurde in Frage gestellt, ob der Ort vor dem Schloss überhaupt der richtige Ort für das Denkmal sei.

Eine westdeutsch dominierte Diskussion

Bei der Betrachtung der Debatte um den Schlossaufbau ist vor allem eines auffällig: Sie wurde vor allem von männlichen Akteuren aus Westdeutschland geprägt. Neben dem zu Anfang erwähnten Joachim Fest kommen auch Wilhelm von Boddien und Hermann Parzinger nicht aus Ostdeutschland. Es verwundert, dass in der gesamten Debatte um den Wiederaufbau des Stadtschlosses nur westdeutsche Stimmen gehört werden und Ostdeutsche mehr oder weniger marginalisiert sind. Das führt in bei Ostdeutschen zu dem Gefühl einer Kolonisierung durch eine westdeutsche Interpretation der Geschichte.

Es ist wichtig zu erwähnen, dass in der Wiederaufbau-Debatte Nostalgien eine große Rolle spielen. Für viele Ostdeutsche, die das Stadtschloss nie gesehen haben, ist der Palast der Republik mit starken Emotionen belegt.18 Eine Frau aus der ehemaligen DDR erzählte mir, dass für sie der Palast ein sozialer Treffpunkt mit den besten und edelsten Restaurants und Cafés in der ganzen DDR war. Dort gab es zum Teil Speisen zu kaufen, die man im Rest der DDR nicht bekam. Zudem verknüpft sie den Palast mit positiven Erinnerungen wie Konzerten oder Treffen im Jugendclub oder der Disco des Palasts. Für die Bürgerinnen und Bürger der früheren DDR bot der Palast ein breites Kulturangebot, das sogar Künstler aus dem Westen umfasste – zu einem Preis, den sich jeder leisten konnte.

Diese Menschen fühlten sich übergangen, als entschieden wurde, den Palast der Republik abzureißen. Für sie ist die Art und Weise, wie diese Entscheidung getroffen wurde, ein weiteres Beispiel für die aus ihrer Sicht gescheiterte Wiedervereinigung. Denn statt auf Augenhöhe behandelt zu werden, fühlen sich viele Ostdeutsche oft als Menschen zweiter Klasse.

Auch deshalb gab es im Fall des Stadtschlosses viele Proteste, und Gregor Gysi, der Parteichef der damaligen PDS19 wurde bekannt, als er das Dach des Palastes der Republik besetzte, um gegen seinen Abriss zu demonstrieren.

Insgesamt zeigen sich in der Debatte um den Wiederaufbau des Stadtschlosses die ideologischen Kämpfe der deutschen Wiedervereinigung und die Identitätssuche der Gesellschaft des nun wiedervereinigten Deutschlands. Für die Unterstützerinnen und Unterstützer steht das Stadtschloss dabei für die Identität und das Bekenntnis Deutschlands zu seinem preußischen Erbe. Aber für die Gegnerinnen und Gegner steht der Abriss des Palastes der Republik für einen Verkauf der Identität der Menschen aus Ostdeutschland. Einen ernsthaften Dialog auf Augenhöhe, was mit dem Ort –  unabhängig von Palastabriss und Schlossaufbau – passieren sollte, gab es nie.

Im Nachhinein zeigt sich an der intensiven Lobbyarbeit von Akteuren wie Wilhelm von Boddien und Joachim Fest, dass es nie eine wirkliche Debatte gab, den Palast der Republik zu erhalten, sondern schon früh politisch die Weichen gestellt wurden, das Schloss wiederaufzubauen. Nie wurde in der Politik ernsthaft erwogen, den Palast unter Denkmalschutz zu stellen, obwohl er eines der wichtigsten Baudenkmale der DDR und der 70er-Jahre in Berlin ist. Und nie wurde ernsthaft überprüft, ob sich wirklich eine breite öffentliche Mehrheit für den Schlosswiederaufbau aussprach oder es nur der Wunsch einiger weniger gut organisierter Eliten war.

Die Unterstützerinnen und Unterstützer des Schlossbaus argumentieren, dass das Schloss eine Wunde in der historischen Mitte Berlins schließt. Doch sind es nicht gerade diese Wunden und diese Spuren, die Berlin interessant machen? Eine mittelalterlich-barocke Altstadt mit einem alten Schloss haben viele Städte in Europa, doch nur in Berlin zeigen sich all die ideologischen Verwerfungen, die das 20. Jahrhundert bestimmt haben, in so einer Deutlichkeit.

Anders als das alte Schloss war der Palast der Republik in den wenigen Jahren seiner Existenz ein wirklicher Ort des Dialogs und der Begegnung für breite Bevölkerungsschichten – sowohl zur DDR-Zeit, als auch im entkernten Zustand. Die Betreiber des Humboldt-Forums versprechen auch dies im Schlossneubau. Das Humboldt-Forum soll „Als Ort des Dialogs, der bürgerschaftlichen Teilhabe und der gleichrangigen Zeitgenossenschaft der Weltkulturen ein neuartiges Konzept für das 21. Jahrhundert sein, […] mit kulturpolitischer Ausstrahlung und starker urbaner Wirkung.“20 Doch kann das Humboldt-Forum diesen Erwartungen gerecht werden? Mit anthropologischen und historischen Ausstellungen, einer Bibliothek und Uni-Einrichtungen mag es zwar einer akademischen Zielgruppe gefallen. Doch ein Großteil der Bevölkerung und Touristen werden am Ende wohl nur die barocke Fassade eines Märchenschlosses sehen.

Autor: Johann Stephanowitz


12 Costabile-Heming: The reconstructed City Palace and Humboldt Forum in Berlin.S.446.

13 Grabbe et al.: Die Berliner Republik und Preußen. S.217.

14 ebd., S.221.

15 ebd. S.219.

16 ebd., S.223.

17 ebd., S.222.

18 ebd., S.443f.

19 Die demokratische Nachfolgepartei der SED, die inzwischen in der Partei Die Linke aufgegangen ist.

20 Birkholz, Tim (2008): „Schloss mit der Debatte!“?. Die Zwischennutzungen im Palast der Republik im Kontext der Schlossplatzdebatte. S.26.

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