In der Evolutionsbiologie beschreibt der Begriff der Mimikry die Ähnlichkeit eines Organismus zu einem Objekt. Die durch eine Veränderung des Erscheinungsbildes bewirkte Anpassung an ein Objekt kann eine Spezies vor Raubtieren schützen. Eine solche anti-predator adaption führt beim Raubtier zu einer veränderten Wahrnehmung, in der es Mime und Modell nicht mehr zu unterscheiden vermag und der Mime einen selektiven Vorteil erlangt. Die Begriffe Adaption und Camouflage sind Teil dieses Gedankenmodells. Adaption als ein weit auskragender Begriff beschreibt die Anpassung eines Organismus an seine Umgebung im Sinne eines Prozesses, eines Zustandes oder eines Merkmals. Camouflage wiederum beschreibt das Kombinieren von Materialien und Farben, wodurch sich ein Organismus tarnen kann. Jacques Lacan schreibt in seinem Essay „Of the Gaze as Objet Petit a“:
“Mimicry reveals something in so far as it is distinct from what might be called an itself that is behind. The effect of mimicry is camouflage, in the strictly technical sense. It is not a question of harmonizing with the background but, against a mottled background, of becoming mottled – exactly like the technique of camouflage practised in human warfare.”1
Das Ziel der Mimikry beschreibt in seiner ursprünglichen Bedeutung eine Form der Behauptung im biologischen System. Homi Bhabha verwendet den Terminus für den Postkolonialismus-Diskurs in seinem Aufsatz Of Mimicry and Man: The Ambivalence of Colonial Discourse.2 Er beschreibt darin Mimikry als eine Nachahmung der Kolonisatoren durch die Kolonisierten. Aus Sicht der Kolonisatoren untermauert eine solche Nachahmung deren Autorität. Zugleich kann sie jedoch auch dazu führen, dass die Kolonisierten ihre Inferiorität nach und nach überwinden. Dabei wird es nach Bhabha jedoch nie zu einer vollständigen Angleichung zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten kommen. Eine Harmonisierung mit dem Hintergrund findet, wie Lacan bereits spezifizierte, also nicht statt. Laut Bhabha werden die Kolonisatoren durch den Prozess der Mimikry letztlich mit einer verzerrten Darstellung ihres narzisstischen Selbst konfrontiert, wodurch eine Ambivalenz zwischen beiden Parteien entsteht. Der Gedanke von der durch Mimikry erzeugten Ambivalenz lässt sich beispielsweise auch in der Literatur finden: In Uwe Timms Roman Morenga (1978) schildert ein Anthropologe die Angewohnheit der „Hottentotte[n], […] die Gestik, die Mimik, sogar de[n] Tonfall“ der „Weißen“ zu kopieren – und zwar „überzogen und fast karikierend“.3
1 Lacan, Jacques: „Of the Gaze as Objet petit a“, in: Clive Cazeaux (Hg.): The continental Aesthetics Reader, London 2000, S. 532.
2 Vgl. Bhabha: “Of mimicry and man: The ambivalence of colonial discourse”, in: Ders.: The Location of Culture, London 1994, S. 85ff.
3 Vgl. Timm, Uwe: Morenga, München 1978, S. 324.
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