Doch ab wann lässt sich, insbesondere bei Filmmusik, von Orientalismus sprechen, und in welchen Fällen liegt lediglich eine „positive“ Form des Exotismus vor, der auch als harmloses, künstlerisches Mittel verstanden werden könnte? Said unterscheidet in seinem Werk zwischen „guten“, positiv konnotierten Orientdarstellungen und „bösen“ Orientdarstellungen. (Vgl. Said, Edward W., Orientalism, New York, 1978, S. 99)
Wo beginnt die „böse“ Orientdarstellung, wenn man von musikalischer Darstellung spricht, wo endet die „gute“?
Orientalismus ist immer auch eine Form des Exotismus, jedoch lässt sich diese These nicht umkehren. Orientalistische Musik versuche einen imaginierten Orient nicht bloß zu imitieren, sondern fungiere als Mittel der Repräsentation, so schreibt Markus Henrik Wyrwich in seinem Buch Orientalismus in der Popmusik.
Sobald westliche Repräsentationssysteme im Spiel sind, könnte man also von einem musikalischen Orientalismus sprechen. Doch ist dies immer so klar trenn- und erkennbar? Ist nicht gerade Musik, insbesondere Instrumentalmusik, wie kaum ein anderes künstlerisches Mittel, in der Lage zu chiffrieren und subversive Kommentare zu machen? Und ist sie nicht eben gerade nicht so eindeutig, wie ein sprachlicher Ausdruck oder ein Bild?
Erste Formen des musikalischen Orientalismus lassen sich, so Derek Scott in seinem 1998 erschienen Artikel Orientalism and musical style auf die Musik des späten 17. Jahrhunderts zurückführen. In Wien entwickelte sich zu dieser Zeit im Bereich der klassischen Musik ein so genannter türkischer Stil, der jedoch hauptsächlich Produkt europäischer Imagination war und sich kaum oder gar nicht an tatsächlicher türkischer Musik orientierte. Als ein bekanntes Beispiel sei hier das 1782 uraufgeführte Singspiel Die Entführung aus dem Serail von Wolfgang Amadeus Mozart zu nennen.
Betrachtet man nun das Genre der Filmmusik, so ist in jedem Falle zwischen Stummfilmen, frühen Schwarzweißfilmen und moderneren Farbfilmen zu unterscheiden. Gerade in der Stummfilm-Ära kam der Musik natürlich noch eine ganz andere Rolle zu als in den späteren Tonfilmen. Im Tonfilm war Musik im Optimalfall eine im Hintergrund bleibende Unterstützerin des Bildes, während sie im Stummfilm wegen der fehlenden Dialoge eine wichtigere Position einnahm, obgleich sie natürlich auch hier in erster Linie verstärkende Funktionen hatte. Markus Henrik Wyrwich beschreibt in Orientalismus in der Popmusik, dass die Geschichte des Orientalismus im Film in jedem Falle unter Einbezug der Genderperspektive zu betrachten sei. Ein typisches Merkmal sei nämlich die Sexualisierung der orientalischen Frau. In dem berühmten Film Cleopatra von 1963 tritt Cleopatra erstmals nach 18 Minuten auf. Sie wird in dieser Einstellung zunächst von hinten gezeigt, ein aufsteigendes Harfen-Arpeggio untermauert diese sexualisierend deutbare Szene musikalisch.
Auch in dem berühmten Disneyfilm Aladdin (1992) wird, was die Repräsentation des Orients angeht, ein sehr klischeehaftes Bild des Orients vermittelt, und das nicht zuletzt durch die Musik. Der Titelsong des animierten Films ist ein Lied mit Text, dessen Inhalt durch die musikalische Begleitung verstärkt wird. Die arabischen Nächte klingen bei Warner Bros pentatonisch, die Musik ist stark rhythmisiert und soll den Orient exotisierend verklanglichen.
“Films are fantasy, and fantasy needs music.” – Jack Warner
Diese Fantasie, wie sie in Aladdin benutzt wird, ist allerdings eine etwas eindimensionale Orient-Fantasie amerikanischer Filmemacher. Sie soll Kindern ein gewisses Bild des Orients vermitteln. Die Wüste zeichnet sich als etwas Geheimnisvolles, Fernes, aber zugleich Bedrohliches ab. Und alle Araber werden als gewalttätige Barbaren dargestellt.
Diese Vorstellung der brutalen und unzivilisierten Araber ist ein sehr gängiges Bild in Hollywoodfilmen, wie Jack Ahaheen in Reel Bad Arabs: How Hollywood Vilifies a People sehr treffend und anhand zahlreicher Beispiele deutlich macht. Er schreibt:
“From 1896 until today, filmmakers have collectively indicted all Arabs as Public Enemy —brutal, heartless, uncivilized religious fanatics and money-mad cultural “others” bent on
terrorizing civilized Westerners, especially Christians and Jews.” (S. 172)
Durch eben solche Bilder, durch wiederholte, einseitige Repräsentation von bestimmten Gruppen, Menschen und Orten im Film, die durch Filmmusik verstärkt werden können, wird Musik zu einem Akteur des filmischen Orientalismus. Durch kulturelle Aneignung auf musikalischer Ebene, die die Musiktradition eines Landes verfälscht repräsentiert beziehungsweise undifferenziert zu imitieren versucht, entsteht ein musikalischer Stil, der Assoziationen weckt und Klischees festigt, die es in der heutigen Zeit eigentlich längst nicht mehr geben sollte.
In Alle Sprachen sprechen wir – Wie Mock language fremde Sprachen auf Klischees reduziertgeht es um die Macht von Sprache, die unsere Werte und Menschenbilder prägt. Wittgenstein schrieb einst:
Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.
Vielleicht kann Musik als Sprache Grenzen überschreiten und dazu beitragen, eine etwas weniger klischeebehaftete filmische Auseinandersetzung mit anderen Ländern und Kulturen mitzugestalten.
Fantasy needs Music. Und eine solche Utopie braucht die Musik ebenfalls. Der Weg der klischeefreien Filmindustrie ist noch nicht geebnet, doch er will gegangen werden.
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Hier geht’s zu dem oben bereits erwähnten Artikel „Alle Sprachen sprechen wir – Wie Mock language fremde Spachen auf Klischees reduziert“
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